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Entscheid des Bundesstrafgerichts: BE.2024.1, BP.2024.2 vom 15.02.2024

Hier finden Sie das Urteil BE.2024.1, BP.2024.2 vom 15.02.2024 - Berufungskammer

Sachverhalt des Entscheids BE.2024.1, BP.2024.2


Urteilsdetails des Bundesstrafgerichts

Instanz:

Bundesstrafgericht

Abteilung:

Berufungskammer

Fallnummer:

BE.2024.1, BP.2024.2

Datum:

15.02.2024

Leitsatz/Stichwort:

Schlagwörter

Bundes; Bundesanwalt; Recht; Bundesanwalts; Bundesanwaltschaft; Staatsanwalt; Verfahren; StBOG; Berufung; Rechtsanwalt; Verfahrens; Verfahren; Staatsanwälte; Beschuldigte; Einsetzung; Urteil; Anklage; Organisation; Kammer; Berufungsverfahren; Kategorie; Verfahrenshandlungen; Staatsanwälten; Parteien; Eingabe; Staatsanwaltes; Person; Staatsanwältin; Nichtigkeit

Rechtskraft:

Weiterzug

Rechtsgrundlagen des Urteils:

Art. 1 StPO ;Art. 12 StPO ;Art. 14 StGB ;Art. 146 StGB ;Art. 165 StGB ;Art. 25 StGB ;Art. 3 StPO ;Art. 305 StGB ;Art. 339 StPO ;Art. 379 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 394 OR ;Art. 403 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 48 BGG ;Art. 5 Or;

Referenz BGE:

147 IV 93; ;

Entscheid des Bundesstrafgerichts

CA.2024.10, CA.2021.18

Tribunal pénal fédéral

Tribunale penale federale

Tribunal penal federal

Hauptgeschäftsnummer: CA.2021.18

und Nebengeschäftsnummer: CA.2024.10

Beschluss vom 15. Februar 2024 Berufungskammer

Besetzung

Richterinnen Brigitte Stump Wendt, Vorsitzende

Barbara Loppacher und Petra Venetz

Gerichtsschreiberin Flurina Heer

Parteien

Bundesanwaltschaft,

vertreten durch a.o. Staatsanwalt des Bundes, Rechtsanwalt TTTT.,

Berufungsführerin / Anklagebehörde

 

und als Privatklägerschaft:

1.       C. AG, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Sprenger,

2.       Bank D. AG, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Bättig,

3.       Bank E. AG, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Erbe,

4.       Bank F. SA, vertreten durch Rechtsanwalt Reto Marbacher,

 

5.       G. AG in Liq., vertreten durch H. AG, vertreten durch Rechtsanwältin Melanie Gasser,

6.       I. AG in Liq., vertreten durch H. AG, vertreten durch Rechtsanwältin Melanie Gasser,

gegen

A., amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Rainer L. Fringeli,

Berufungsgegnerin / Beschuldigte

sowie als Drittbetroffene:

 

1.       J., vertreten durch Rechtsanwältin Vera Delnon,

2.       K. AG, vertreten durch Rechtsanwältin Vera Delnon,

3.       L., vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker,

 

4.       M.,

5.      N. AG, unentgeltlich vertreten durch Rechtsanwalt Alex Ertl,

6.       O. SA, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Romann,

7.       P. SA, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Dörig,

Gegenstand

Berufung der Bundesanwaltschaft gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2020.57 vom 30. August 2021

Rückweisung des Verfahrens / Abtrennung vom Hauptverfahren / Nichteintreten auf die Berufung der Bundesanwaltschaft

Prozessgeschichte:

A.           Am 15. Februar 2010 reichte die C. Bank AG (heute C. AG) beim Untersuchungsrichteramt Luzern eine Strafanzeige gegen die I. AG und A. (nachfolgend: die Beschuldigte) sowie weitere Personen wegen Betrug und Geldwäscherei ein (zum Ganzen Rubrik BA 05.101). Im Februar und März 2010 erstatteten weitere Banken Strafanzeige gegen die I. AG und die Beschuldigte, insbesondere wegen Betrugs, namentlich die Bank D. AG, die Bank F. SA sowie die Bank E. AG (BA Rubrik 05.103 ff.).

B.           Nach vorgängigen Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Luzern übernahm die Bundesanwaltschaft infolge eines Übernahmeersuchens am 25. März 2010 die Führung der Strafuntersuchung und eröffnete ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte, B., J. und gegen weitere Personen wegen Verdachts des Betrugs (Art. 146 StGB), der Urkundenfälschung (Art. 251 StGB) sowie der Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) (BA pag. 02.100-0002 ff. und BA Rubrik 1.100). Mit Verfügung vom 9. Juni 2010 dehnte die Bundesanwaltschaft die Strafuntersuchung auf den Ehemann der Beschuldigten, L., wegen Verdachts des Betrugs (Art. 146 StGB) und der Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) aus (BA pag. 01.100-0011). Im Laufe der Ermittlungen wurde die Strafuntersuchung gegen die beschuldigten Personen auf die Straftatbestände des qualifizierten Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB) und betreffend die Beschuldigte auf Misswirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB) ausgedehnt (BA Rubrik 1.200).

C.           Am 30. September 2015 gab der bis zu diesem Zeitpunkt ermittelnde, ordentliche Staatsanwalt des Bundes, Rechtsanwalt AAAAA., seine Demission bekannt. Er informierte die Parteien und Drittbetroffenen darüber, dass die Verfahrensleitung der Strafuntersuchung am 1. Oktober 2015 auf Rechtsanwalt TTTT. als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes übergehe, welcher per 1. November 2015 auch operativ wirken werde (BA pag. 1.300-0001 ff.), (ist im Folgenden von der Bundesanwaltschaft die Rede, wurde diese durch den neuen, ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes vertreten).

D.           Im Sommer 2018 beabsichtigte die Bundesanwaltschaft die Untersuchung abzuschliessen: Sie stellte mit Verfügungen vom 30. Juli 2018 die Verfahren gegen sämtliche Mitbeschuldigte von A. – abgesehen von demjenigen gegen L. – ein (unter anderem das Verfahren gegen B. und J. [BA Rubrik 3.001 ff.]) Das Verfahren gegen L. wegen Geldwäscherei wurde bis zum Ausgang des vorliegenden Strafverfahrens gegen die Beschuldigte sistiert. Die übrigen gegen ihn geführten Verfahren wurden eingestellt (BA pag. 03.005-0001 ff.). Die Einstellungsverfügungen blieben, mit Ausnahme der Einstellungsverfügung betreffend B., unangefochten. Hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens gegen B. hiess die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts eine dagegen erhobene Beschwerde der Bank E. AG gut. Die Bundesanwaltschaft wurde von der Beschwerdekammer angewiesen, das Verfahren gegen B. weiterzuführen und Anklage zu erheben (TPF SK.2019.10 pag. 510.052 ff.).

E.           Gegen die Beschuldigte wurde erstmals am 28. September 2018 bei der Strafkammer des Bundesstrafgerichts (nachfolgend: die Strafkammer oder die Vorinstanz) Anklage erhoben wegen mehrfacher Urkundenfälschung sowie Versuchs dazu, gewerbsmässigen Betrugs, eventualiter mehrfacher Veruntreuung, subeventualiter qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung, Misswirtschaft und gewerbsmässiger Geldwäscherei (TPF SK.2018.54 pag. 100.005 ff.).

F.           Nach drei Rückweisungen des Verfahrens durch die Strafkammer zurück an die Bundesanwaltschaft (TPF SK.2018.54 pag. 932.001 ff., TPF SK.2019.10 pag. 100.001 ff., TPF SK.2019.10 pag. 932.001 ff. und TPF SK.2020.28 pag. 933.001 ff.) erhob die Bundesanwaltschaft am 20. November 2020 erneut Anklage; gegen die Beschuldigte wegen der genannten Delikte und gegen B. wegen Gehilfenschaft zu Betrug (TPF SK.2020.57 [nachfolgend: TPF] pag. 100.001 ff.).

G.          Im Verlaufe des Verfahrens wurden verschiedene Anwältinnen und Anwälte mit der amtlichen Verteidigung der Beschuldigten betraut: Zunächst wurde sie durch Rechtsanwältin NNNN. vertreten. Danach übernahm Advokat HH. das Mandat. Zeitweilen wurde dieser durch Rechtsanwältin OOOO. ersetzt. Der derzeitige amtliche Verteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt Rainer L. Fringeli, wurde von der Bundesanwaltschaft am 9. September 2020 als amtlicher Verteidiger der Beschuldigten mit Wirkung ab dem 7. September 2020 eingesetzt (BA pag. 16.101-1197 ff.).

H.           Die erstinstanzliche Hauptverhandlung fand in Anwesenheit des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes am 30. Juni, 1. und 2. Juli 2021 vor der Strafkammer am Sitz in Bellinzona statt. Die Strafkammer eröffnete ihr Urteil SK.2020.57 am 30. August 2021. Sie sprach die Beschuldigte der mehrfachen Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 3 StGB), des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 StGB) und der Misswirtschaft (Art. 165 Ziff. 1 StGB) schuldig. Von einzelnen Anklagepunkten betreffend den Vorwurf der Urkundenfälschung wurde die Beschuldigte freigesprochen und das gegen sie geführte Verfahren wurde hinsichtlich einzelner Anklagepunkten betreffend Urkundenfälschung und Betrug infolge eingetretener Verjährung sowie betreffend Geldwäscherei eingestellt. B. wurde vollumfänglich freigesprochen (TPF pag. 930.001 ff.).

I.            Mit Eingabe vom 7. September 2021 meldete die Bundesanwaltschaft bei der Strafkammer innert Frist Berufung an (CAR CA.2021.18 [nachfolgend: CAR] pag. 1.100.018 f.). Auch andere Parteien und Drittbetroffene meldeten innert Frist Berufung an, darunter unter anderem die Beschuldigte (CAR pag. 1.100.009), die C. AG (CAR pag. 1.100.007 f.), L. (CAR pag. 1.100.012 f.) und die N. AG (CAR pag. 1.100.015 f.). Am 28. September 2021 stellte die Strafkammer den Parteien und Drittbetroffenen die begründete Fassung des Urteils zu (TPF pag. 930.080 ff.).

J.           Mit Eingabe vom 15. Oktober 2021 erklärte die Bundesanwaltschaft bei der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts innert Frist teilweise Berufung (CAR pag. 1.100.271 ff.). Sie beantragte einen zusätzlichen Schuldspruch wegen qualifizierter Geldwäscherei gemäss Art. 305bis Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 (lit. c) StGB, folglich wegen des Vorwurfs, hinsichtlich welchem die Vorinstanz unter anderem das Verfahren gegen die Beschuldigte einstellte. Zudem beantragte sie eine Erhöhung der von der Vorinstanz festgelegten Freiheitsstrafe auf mindesten 56 Monate; die Vorinstanz sah eine Freiheitsstrafe von 45 Monaten vor. Auch die Beschuldigte, die C. AG, L. und die N. AG erklärten innert Frist hinsichtlich diverser Urteilspunkte Berufung (CAR pag. 1.100.279 ff., CAR pag. 1.100.287 ff., CAR pag. 1.100.285 f., CAR pag. 1.100.283 f.). Die Bundesanwaltschaft erhob keine Anschlussberufung. Der Freispruch von B. blieb allerseits unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.

K.           Nach Terminabsprachen zu Beginn des Jahres 2023 (CAR pag. 6.100.001 ff.) wurden die (anschluss-)berufungserhebenden Parteien und Drittbetroffenen mit Verfügung vom 14. November 2023 auf den 31. Januar 2024, 1. Februar 2024 und 2. Februar 2024 zur Berufungsverhandlung vorgeladen (CAR pag. 6.301.001 ff.). Die nicht (anschluss-)berufungserhebenden Parteien und Drittbetroffenen wurden zur Teilnahme an der Berufungsverhandlung eingeladen (CAR pag. 6.301.015 f.).

L.           Mit Verfügung vom 14. November 2023 wurden die Parteien und Drittbetroffenen aus prozessökonomischen Gründen eingeladen, bis Freitag, 8. Dezember 2023, allfällige Vorfragen im Sinne von Art. 339 Abs. 2 StPO mitzuteilen, mit dem Hinweis, dass die Bekanntgabe unverbindlich erfolge und folglich anlässlich der Berufungsverhandlung weitere Vorfragen gestellt werden können (CAR 6.200.072 f.).

M.          Nachdem Rechtsanwalt Konrad Jeker am 16. Oktober 2023 die Interessensvertretung von L. angezeigt hatte (CAR pag. 3.104.001 f.), ersuchte er mit Eingabe vom 8. Dezember 2023 in Hinblick auf allfällige Vorfragen um Zustellung der Unterlagen, die ihm die Prüfung der Einsetzung des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes erlauben würden, und wies dabei auf das Urteil des Bundesgerichts 1B_363/2021 vom 5. April 2022 hin (CAR pag. 3.104.006).

N.           Mit Verfügung vom 12. Dezember 2023 wurde der Bundesanwaltschaft Frist bis zum 18. Dezember 2023 angesetzt, um zur Eingabe des Rechtsvertreters von L. Stellung zu nehmen (CAR pag. 3.101.315 f.). Den übrigen Parteien und Drittbetroffenen wurde die Eingabe zur Gewährung des rechtlichen Gehörs zugestellt (CAR pag. 3.100.020 f.).

O.          Mit Eingabe vom 15. Dezember 2023 nahm Rechtsanwalt TTTT. zu seiner Einsetzung als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes ausführlich Stellung (CAR pag. 3.101.317 ff.). Die Eingabe wurde den übrigen Parteien und Drittbetroffenen übermittelt (CAR pag. 3.100.022 f.).

P.           Mit Eingabe vom 28. Dezember 2023, erhalten am 2. Januar 2024, stellte die amtliche Verteidigung folgende Anträge (CAR pag. 3.102.072 ff.):

       ' 1.     Es sei festzustellen, dass der a.o. Staatsanwalt des Bundes, Herr TTTT., ungültig und ohne formell-gesetzliche Grundlage durch die Bundesanwaltschaft für die Verfahrensleitung des vorliegenden Strafverfahrens beigezogen wurde respektive sein Beizug nichtig ist.

         2.     Es sei als Folge von Ziffer 1 hiervor festzustellen, dass sämtliche, im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen die Beschuldigte ergangenen Untersuchungshandlungen durch Herrn TTTT. - vermutlich seit 1. Oktober 2015 - nichtig sind, die diesbezüglichen Aufzeichnungen daher unverwertbar und aus den Akten zu weisen sind und die Anklage ungültig respektive nichtig erfolgt ist.

         3.     Es sei festzustellen, dass das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts vom 30. August 2021 nichtig ist.

         4.     Es sei das Strafverfahren gegen die Beschuldigte respektive die Anklage an die Bundesanwaltschaft zur Wiederholung der nichtigen Verfahrenshandlungen zurückzuweisen und die Berufungsverhandlung entsprechend abzubieten.

         5.     Eventualiter sei Herr TTTT. anzuweisen, die Einsetzungsverfügung als ausserordentlicher Staatsanwalt von der Bundesanwaltschaft oder das Wahlprotokoll der Vereinigten Bundesversammlung dem Gericht zu edieren unter Vorlage sämtlicher damit verbundenen Dokumente, insbesondere auch die allvierjährlichen Bestätigungen seiner Einsetzung.

         6.     Es sei den Parteien bei Edition und Erhalt der unter Ziffer 5 hiervor beantragten Aufzeichnungen Frist zur Stellungnahme anzusetzen.

         7.     Unter o/e-Kostenfolge (inkl. MwSt. und Auslagen) zulasten des Staates resp. der Bundesanwaltschaft.»

Q.          Mit Verfügung vom 9. Januar 2024 wurden die Parteien und Drittbetroffenen eingeladen, bis zum 17. Januar 2024 zu den Anträgen der amtlichen Verteidigung und zu den prozessualen Folgen der sich stellenden Thematik Stellung zu nehmen (CAR pag. 3.100.024 f.).

R.           Mit Eingaben vom 15. Januar 2024 stellten die Bundesanwaltschaft (CAR pag. 3.101.356 ff.) sowie die Rechtsvertretungen der C. AG (CAR pag. 3.105.215 ff.) und von J. bzw. der K. AG (CAR pag. 4.103.006 f.) jeweils den Antrag auf Abweisung sämtlicher Anträge; das Berufungsverfahren sei ordentlich fortzuführen. Die Rechtsvertreter der N. AG und von L. schlossen sich hingegen den Anträgen der amtlichen Verteidigung mit Eingaben vom 11. Januar 2024 (CAR pag. 3.103.261 f.) und vom 17. Januar 2024 (CAR pag. 3.104.007 ff.) an.

S.           Mit Verfügung vom 23. Januar 2024 wurde die Berufungsverhandlung abgesagt und die Vorladungen abgenommen. Dies wurde damit begründet, dass die aufgeworfene prozessuale Vorfrage betreffend die Legitimation von Herrn Rechtsanwalt TTTT. als gesetzmässiger ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes die geplante Durchführung der Berufungsverhandlung nicht zulasse und einer vertieften Abklärung dieser prozessualen Vorfrage durch das Gericht bedürfe (CAR pag. 6.301.017 f.). Die eingegangenen Stellungnahmen zu den Anträgen der amtlichen Verteidigung wurden den Parteien und Drittbetroffenen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs gegenseitig zugestellt (CAR pag. 6.301.018.).

T.           Weitere Stellungnahmen gingen nicht mehr ein.

Die Berufungskammer erwägt:

1.           Gegenstand dieses Beschlusses bildet die Legitimation der Einsetzung von Herrn Rechtsanwalt TTTT. als gesetzmässiger ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes und die strafprozessualen Folgen seiner Einsetzung für das vorliegende Berufungsverfahren.

2.           Vorbringen der Parteien und Drittbetroffenen

2.1         Die amtliche Verteidigung begründet ihre Anträge auf Feststellung der Nichtigkeit sämtlicher Verfahrenshandlungen von Rechtsanwalt TTTT. in ihrer Eingabe vom 28. Dezember 2023 zusammengefasst damit, dass keine gesetzliche Grundlage für seine Einsetzung als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes bestanden habe. Die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwaltes des Bundes sei einzig nach Art. 67 StBOG vorgesehen, also bei Untersuchungen gegenüber (Leitenden) Staatsanwälten. Zwar sähe Art. 9 Abs. 3 StBOG die Möglichkeit vor, dass die Bundesanwaltschaft ein Reglement für ihre Organisation und Verwaltung erlasse. Ein solches Reglement habe zum Zeitpunkt der Einsetzung auch bestanden. Aber erst Art. 5 Abs. 4 der neuen Fassung des Reglements über die Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft, welche seit 1. April 2021 in Kraft sei, sehe die Möglichkeit vor, dass der Bundesanwalt für die Dauer der Behandlung einzelner Verfahren externe Personen als ausserordentliche Staatsanwälte beauftragen könne. Zudem brauche es hierfür eine Verfügung, welche nicht ersichtlich sei. Die Bundesanwaltschaft habe folglich im damaligen Zeitpunkt für den vorliegenden Fall keine gesetzliche Grundlage geschaffen. Rechtsanwalt TTTT. sei bekanntlich bereits per 1. Oktober 2015 tätig geworden. Staatsanwälte des Bundes müssten gemäss Art. 20 StBOG für eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt werden. Eine solche Wahl sei vorliegend nicht ersichtlich. Rechtsanwalt TTTT. sei zudem nicht als interne, sondern als externe Person anzusehen, immerhin laute sein Titel gerade «ausserordentlicher» Staatsanwalt. Gemäss seiner Webseite praktiziere er als Rechtsanwalt und Notar. Eine Vergangenheit bei der Bundesanwaltschaft sei aufgrund seines Lebenslaufs nicht bekannt. Falls ein Vertrag vorliege, sei dieser sicherlich als Auftragsverhältnis zu qualifizieren. Die Folge der mangelnden gesetzlichen Grundlage sei die Nichtigkeit sämtlicher von ihm vorgenommenen Verfahrenshandlungen, worunter auch die von ihm gegen die Beschuldigte erhobene Anklagen falle. Auch das Urteil der Vorinstanz, welche diese Anklage beurteilt habe, sei nichtig. Eine sachliche Unzuständigkeit stelle ein Nichtigkeitsgrund dar. Nichtigkeit könne auch im Rechtsmittelverfahren noch vorgebracht werden. Für ihn sei aufgrund der Aktenlage nicht erkennbar gewesen, ob das Vorgehen, Rechtsanwalt TTTT. als ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes einzusetzen, rechtens gewesen sei oder nicht. Nach der eingegangenen Eingabe der Bundesanwaltschaft vom 15. Dezember 2023 sei nun aber klar, dass sein Beizug weder verfügt worden sei noch eine gesetzliche Grundlage für seine Wahl bestanden habe. Die Rechtssicherheit sei gefährdet, wenn die Bundesanwaltschaft nicht korrekt arbeite. Er beantrage daher die Rückweisung des Verfahrens bzw. der Anklage an die Bundesanwaltschaft zur Wiederholung der nichtigen Verfahrenshandlungen (CAR pag. 3.102.072 ff.).

2.2         Der Rechtsvertreter von L., welcher sich den Anträgen der amtlichen Verteidigung anschloss, betont in seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2024, dass ein Staatsanwalt des Bundes von Gesetzes wegen mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet sei, die schwer in die Grundrechte von Beteiligten eingreifen können. Die Strafverfolgung sei nicht auf Personen übertragbar, die ausserhalb der Behördenorganisation stünden, insbesondere nicht ohne formell-gesetzliche Grundlage. Eine solche Grundlage sei nicht ersichtlich, womit sich sämtliche Verfahrenshandlungen des Staatsanwaltes als nichtig erweisen würden. Der vorliegend ausserordentlich tätige Staatsanwalt sei nicht Teil der Behördenorganisation der Bundesanwaltschaft. Die von diesem erwähnte «Einsetzung und Beauftragung» liessen keinen anderen Schluss zu, wobei er nicht an der fachlichen Kompetenz des Staatsanwaltes zweifeln würde. Die Anklage erweise sich unter diesen Umständen als nichtig. Das erstinstanzliche Urteil sei zu kassieren, das Berufungsverfahren einzustellen und die Sache an die Bundesanwaltschaft zurückzuweisen. Als Sofortmassnahme sei die Berufungsverhandlung abzusetzen (CAR pag. 3.104.007 ff.).

2.3         Der Rechtsvertreter der N. AG, welcher in seiner Stellungnahme vom 11. Januar 2024 ebenfalls die Anträge der amtlichen Verteidigung unterstützt, fügt zusätzlich an, dass Rechtsanwalt TTTT. im Falle einer Rückweisung der Anklage in den Ausstand zu treten habe (CAR pag. 3.103.261 f.).

2.4

2.4.1      Der ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes hält in seinen Eingaben vom 15. Dezember 2023 und vom 15. Januar 2024 diesen Vorbringen zusammengefasst entgegen, die Vorgehensweise der amtlichen Verteidigung und des Rechtsvertreters von L. diene offensichtlich dem (einzigen) Ziel einer Verfahrensverzögerung. Er sei keine «verwaltungsexterne Person» im Sinne des vom Rechtsvertreter von L. zitierten Bundesgerichtsentscheides. Es handle sich bei ihm entsprechend auch nicht um eine Einsetzung eines externen, nicht zur Bundesanwaltschaft gehörenden ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes gemäss Art. 67 Abs. 1 StBOG. Dieser würde logischerweise nicht zur Bundesanwaltschaft gehören und führe demzufolge auch keine Verfahren der Bundesanwaltschaft. Er hingegen nehme die staatsanwaltliche Funktion innerhalb der Bundesanwaltschaft wahr. Er sei mittels (unbefristeter) Einsetzungsverfügung vom 21. September 2015 per 1. Oktober 2015 vom damals zuständigen Bundesanwalt gemäss Art. 20 Abs. 2 StBOG eingesetzt und in dieser Eigenschaft beauftragt worden, im vorliegenden Verfahren die Verfahrensleitung zu übernehmen. Er nehme sämtliche Aufgaben der Staatsanwaltschaft gemäss StPO wahr. Zu seinen Anstellungsbedingungen reiche er seinen Dienstleistungsvertrag vom 14. bzw. 21. September 2015 ein. Dieser sei bis anhin regelmässig verlängert worden. Er erfülle die fachlichen Anforderungen an einen ausserordentlichen Staatsanwalt, sei patentierter Rechtsanwalt (und Notar), sei mehrere Jahre Untersuchungsrichter/Staatsanwalt im Kanton Solothurn gewesen und seit 2006 immer wieder als ausserordentlicher Staatsanwalt im Kanton Basel-Landschaft tätig. Sämtliche Einvernahmen mit der Beschuldigten, Auskunftspersonen und Zeugen seien noch vom Vorgänger vorgenommen worden, auch sonst sämtliche Beweismittel. Die Anklage sei zudem innerhalb des internen Controllings von der Bundesanwaltschaft genehmigt worden. Hier gäbe es nichts zu wiederholen. Selbst wenn eine andere Unterzeichnung der ansonsten unveränderten Anklage eingeholt werden müsste, wäre diese einfache Korrektur im Berufungsverfahren zu erbringen und ein Mangel insofern zu heilen. Es läge nun auch bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, weshalb sich der vorliegende Fall unter anderem von dem zitierten Urteil des Bundesgerichts 1B_363/2021 vom 5. April 2022 unterscheide. Aufgrund dieses erstinstanzlichen Urteils könne auch die Verjährung nicht mehr eintreten. Seit dem 1. Januar 2011 sei die Bundesanwaltschaft eine verwaltungsunabhängige Bundesbehörde, welche vom Bundesrat weder geführt noch organisiert werde. Die Zulässigkeit der Mandatierung von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes ergebe sich aus Art. 9 StBOG und Art. 16 StBOG. Diese Normen würden zweifelsohne eine formell-gesetzliche Grundlage darstellen. Er weise zudem auf die Botschaft zum StBOG hin, wonach der Gesetzgeber der Bundesanwaltschaft eine hohe Organisationskompetenz zuteile und es ihr frei stehe, unterschiedliche Kategorien von Staatsanwälten zu schaffen, um flexibel und rasch auf die Anforderungen der Strafverfolgung reagieren zu können. Art. 5 des Organisationsreglements der Bundesanwaltschaft führe die unterschiedlichen Kategorien ausdrücklich auf, in Abs. 4 auch ausdrücklich den ausserordentlichen Staatsanwalt. Eine solche Mandatierung erfolge beschränkt auf die Dauer der Behandlung einzelner Verfahren, um auf temporäre Belastungsspitzen reagieren zu können. Sie sei für derartige Konstellationen verhältnismässiger und in der Regel ökonomischer als eine Wahl gemäss auf Amtsdauer, wobei er auf Art. 20 Abs. 2 StBOG a maiore ad minus hinweise. Die Aufsichtsbehörde über die BA (AB-BA) sei hierüber im Bilde. Er unterstehe dem internen Controlling der Bundesanwaltschaft und den Weisungen gemäss Art. 13 StBOG. Es handle sich um keine Aufgabenauslagerung. Bis anhin seien ausserordentliche Staatsanwälte des Bundes von der Strafkammer des Bundesstrafgerichts akzeptiert worden. Im Übrigen hätte ein solcher Einwand viel früher vorgebracht werden müssen und nicht erst im Berufungsverfahren. Es gelte Art. 2 ZGB (CAR pag. 3.101.317 ff. und CAR pag. 3.101.356 ff.).

2.4.2      Der gegenwärtige Bundesanwalt liess sich ebenfalls in einem Schreiben vom 15. Januar 2024 vernehmen, welches der Eingabe des ausserordentlichen Staatsanwaltes des Bundes vom 15. Januar 2024 beigelegt war. In diesem Schreiben führt der Bundesanwalt zusätzlich an, dass die Funktion eines ausserordentlichen Staatsanwaltes des Bundes gemäss Art. 67 Abs. 1 StBOG gesondert im Gesetz aufgeführt werde, liege daran, dass dieser kein Verfahren der Bundesanwaltschaft führe und daher nicht von der Organisation der Bundesanwaltschaft (sowie den entsprechenden Reglementen) erfasst werde. Im Zeitpunkt der Einsetzung habe tatsächlich noch das alte Reglement über die Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft gegolten. Der hauptsächliche Zweck der entsprechenden Bestimmungen im Reglement (damals Art. 13, heute Art. 5) läge aber darin, aufzuzeigen, welche strafprozessualen Befugnisse der jeweiligen Kategorie im Verfahren zukomme (CAR pag. 3.101.369 ff.).

2.5         Die Rechtsvertretung der C. AG stellt sich in ihrer Eingabe vom 15. Januar 2024 ebenfalls auf den Standpunkt, dass die Materialen im Zusammenhang mit Art. 9 StBOG zeigen würden, dass der Gesetzgeber dem Bundesanwalt in Organisationsfragen eine sehr grosse Gestaltungsfreiheit habe einräumen wollen. Bei dieser Ausgangslage dürfe angenommen werden, dass bereits Art. 9 Abs. 3 StBOG eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes darstellen würde. Diese Praxis sei seit 2011 als effiziente Form zur personellen Unterstützung der Bundesanwaltschaft gelebt und durchwegs akzeptiert worden. Dass dieser Akt von der Verteidigung einen Monat vor der Berufungsverhandlung plötzlich als mangelhaft bezeichnet werde, habe einzig den Zweck, den ordentlichen Fortgang des Verfahrens im Interesse der Beschuldigten zu stören. Der massiv verspätete Einwand sei als rechtsmissbräuchlich einzustufen. Obwohl seit Herbst 2015 offensichtlich sei, dass die Bundesanwaltschaft einen ausserordentlichen Staatsanwalt eingesetzt habe, habe während mehr als acht Jahren niemand gegen diesen Entscheid opponiert. Das gelte auch für die Vorinstanz und für das in vorliegender Sache schon mehrmals angerufene Bundesgericht. Hinzu komme, dass im Falle einer Rückweisung des Verfahrens an die Untersuchungsbehörde ein Grossteil der bereits abgeurteilten Straftaten verjähren würden. Die Einwendungen würden aus rein prozesstaktischen Gründen erfolgen und seien nicht mehr zu hören. Der Rückweisungsantrag sei rechtsmissbräuchlich (CAR pag. 3.105.215 ff.).

2.6         Auch die Rechtsvertreterin von J. und der K. AG appelliert in ihrer Stellungnahme vom 15. Januar 2024 an den Grundsatz von Treu und Glauben und das Rechtsmissbrauchsverbot. Unter Hinweis auf diverse bundesgerichtliche Entscheide bringt sie vor, offensichtlich verspätete Verfahrensrügen seien grundsätzlich nicht zu hören und würden als verwirkt gelten (CAR pag. 4.103.006 f.).

3.           Rechtliche Grundlagen

3.1         Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Strafrechtspflege (vgl. Art. 12 lit. b StPO). Die Strafrechtspflege steht einzig den von Gesetz bestimmten Behörden zu. Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt und abgeschlossen werden (Art. 2 StPO). Bund und Kantone bestimmen ihre Strafbehörden und deren Bezeichnungen. Sie regeln Wahl, Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse der Strafbehörden, soweit die StPO oder andere Bundesgesetze dies nicht abschliessend regeln (Art. 14 StPO). Wie die Strafbehörden im Einzelfall zusammengesetzt sind, wie sie bezeichnet oder welche sachlichen Zuständigkeiten ihnen zugewiesen werden, bleibt weitgehend Bund und Kantonen überlassen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 S. 1102 und S. 1134). In der StPO findet die Rechtsfigur des ausserordentlichen Staatsanwaltes keine Erwähnung.

3.2         Gestützt auf Art. 14 StPO hat der Bund 2010 das Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (nachfolgend: StBOG, SR 173.71) erlassen.

3.2.1      Die Rechtsfigur des ausserordentlichen Staatsanwaltes des Bundes ist im StBOG geregelt. Nach Art. 67 StBOG bezeichnet oder ernennt die Aufsichtsbehörde ein Mitglied der Bundesanwaltschaft oder einen ausserordentlichen Staatsanwalt oder eine ausserordentliche Staatsanwältin für die Leitung des Verfahrens, wenn sich die Strafverfolgung wegen Straftaten im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit gegen einen Leitenden Staatsanwalt, eine Leitende Staatsanwältin, einen Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin richtet.

3.2.2      Im Übrigen kennt das StBOG als Kategorien von Staatsanwälten den Bundesanwalt oder die Bundesanwältin (Art. 9 StBOG), zwei stellvertretende Bundesanwälte oder Bundesanwältinnen (Art. 10 StBOG), die Leitenden Staatsanwälte und Staatsanwältinnen (Art. 11 StBOG) und die Staatsanwälte und Staatsanwältinnen (Art. 12 StBOG).

3.2.3      Der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin und ihre Stellvertreter werden von der Bundesversammlung gewählt (Art. 20 Abs. 1 StBOG). Wählbar ist, wer in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt ist (Art. 20 Abs. 1bis StBOG). Die übrigen Staatsanwälte und Staatsanwältinnen werden vom Bundesanwalt oder der Bundesanwältin gewählt. Er oder sie kann die Wählbarkeit auf Personen beschränken, die in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind (Art. 20 Abs. 2 StBOG). Die Amtsdauer beträgt vier Jahre. Sie startet am 1. Januar nach Beginn der Legislaturperiode des Nationalrates (Art. 20 Abs. 3 StBOG). Die Bundesversammlung regelt das Arbeitsverhältnis und die Besoldung des Bundesanwaltes oder der Bundesanwältin sowie der Stellvertretenden Bundesanwälte oder Bundesanwältinnen in einer Verordnung (Art. 22 Abs. 1 StBOG). Für die übrigen Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Bundesanwaltschaft gilt das Bundespersonalrecht. Arbeitgeberentscheide trifft der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin (Art. 22 Abs. 2 StBOG). Wegen der Wahl auf Amtsdauer gilt für alle Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zudem die Amtsdauerverordnung vom 17. Oktober 2011 (Botschaft vom 10. September 2008 zum Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes, BBl  2008 8125 [nachfolgend: Botschaft zum StBOG] S. 8157).

3.2.4      Nach Art. 16 StBOG verwaltet die Bundesanwaltschaft sich selbst. Sie richtet ihre Dienste ein, stellt das nötige Personal an und führt eine eigene Rechnung. Der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin führt die Bundesanwaltschaft (Art. 9 Abs. 1 StBOG). Nach Art. 9 Abs. 2 StBOG ist er oder sie insbesondere verantwortlich für die fachgerechte und wirksame Strafverfolgung in Fällen der Bundesgerichtsbarkeit (lit. a), den Aufbau und den Betrieb einer zweckmässigen Organisation (lit. b) und den wirksamen Einsatz von Personal sowie von Finanz- und Sachmitteln (lit. c). Nach Art. 9 Abs. 3 StBOG regelt er oder sie die Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft in einem Reglement. Dieses Reglement ist als Rechtsverordnung einzuordnen, die als solche in der amtlichen Gesetzessammlung publiziert werden soll, wodurch Transparenz im Hinblick auf die Organisation der Bundesanwaltschaft geschaffen wird (vgl. Botschaft zum StBOG S. 8155).

3.3         Gestützt auf Art. 9 Abs. 3 StBOG hat der Bundesanwalt wiederholt ein Reglement über die Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft erlassen. Im Zeitraum, in dem Rechtsanwalt TTTT. Verfahrenshandlungen für die Bundesanwaltschaft vornahm, waren zwei verschiedene Versionen in Kraft:

3.3.1      Die aktuelle Fassung des Organisationsreglements vom 26. Februar 2021 trat am 1. April 2021 in Kraft (AS 2013 207). Sie sieht unter dem Titel «Staatsanwälte und Staatsanwältinnen» in Art. 5 Abs. 4 vor, dass der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin für die Dauer der Behandlung einzelner Verfahren eine externe Person als ausserordentlichen Staatsanwalt oder ausserordentliche Staatsanwältin beauftragen kann, welche im Rahmen dieses Mandats sämtliche Aufgaben der Staatsanwaltschaft gemäss der StPO übernimmt (AS 2013 207).

3.3.2      Die vorherige Version vom 11. Dezember 2012 trat am 1. Februar 2013 in Kraft und galt bis zur Inkraftsetzung der neuen Fassung am 1. April 2021 (AS 2010 5993). In der früheren Fassung war keine Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten vorgesehen. Vielmehr sah das alte Reglement unter dem Titel «Kategorien von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen» in Art. 13 Abs. 1 vor, dass die Bundesanwaltschaft als Kategorien von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen den Leitendenden Staatsanwalt oder die Leitende Staatsanwältin des Bundes (lit. a), den Staatsanwalt oder die Staatsanwältin des Bundes (lit. b), den Stellvertretenden Staatsanwalt oder die Stellvertretende Staatsanwältin des Bundes (lit. c) und den Assistenz-Staatsanwalt oder die Assistenz-Staatsanwältin des Bundes beschäftigt. Ihre Kompetenzen gemäss StPO wurden nachfolgend in Art. 13 Abs. 2 des Reglements aufgeführt.

4.           Würdigung

4.1         Das Bundesgericht hat die Rechtsfrage der Zulässigkeit der Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes beschränkt auf die Dauer der Behandlung einzelner Verfahren bis anhin – in den nicht von Art. 67 StBOG erfassten Fällen – nicht geklärt. Die Praxis solche einzusetzen, um flexibel auf Belastungsspitzen reagieren zu können, wird jedoch bei der Bundesanwaltschaft seit einiger Zeit gelebt, ob im vorliegenden Fall auch zulässigerweise, ist folglich zu klären.

4.2

4.2.1      Die Entstehungsgeschichte zum StBOG, mit welchem der Bund die gesetzlichen Regelungen für die Organisation seiner Strafbehörden geschaffen hat, zeigt, dass der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck bei der Schaffung der Normen des StBOG unter anderem darin lag, die Institution der Bundesanwaltschaft zu stärken und ihre Unabhängigkeit – von der Exekutive – zu gewährleisten. Auch die Stärkung der Stellung des Bundesanwaltes oder der Bundesanwältin war ein mit der Gesetzgebung verfolgtes Ziel (vgl. Botschaft zum StBOG), worauf die Bundesanwaltschaft und die C. AG zu Recht hinweisen. Wer wie der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin Verantwortung für eine fachgerechte und effiziente Strafverfolgung, den Aufbau und Betrieb einer zweckmässigen Organisation und den wirksamen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel trägt, muss auch die Möglichkeit haben, Einfluss auf alle relevanten Faktoren zu nehmen (Botschaft zum StBOG S. 8152). Diese gestärkten Positionen der Bundesanwaltschaft und des Bundesanwaltes bzw. der Bundesanwältin sind jedoch innerhalb der vorgesehenen, nachfolgend wiedergegebenen formell-gesetzlichen Rahmenbedingungen auszuüben.

4.2.1.1   Art. 67 StBOG, welcher die Einsetzung von ausserordentlichen Staatsanwälten vorsieht, ist vorliegend als Rechtsgrundlage nicht einschlägig: Das Strafverfahren betrifft die Beschuldigte A. und wird nicht gegen einen (Leitenden) Staatsanwalt des Bundes geführt. Als übrige Kategorien von Staatsanwälten sieht das StBOG den Bundesanwalt (Art. 9 StBOG), seine Stellvertreter (Art. 10 StBOG), die Leitenden Staatsanwälte (Art. 11 StBOG) und die Staatsanwälte (Art. 12 StBOG) vor. Abgesehen von dem nicht einschlägigen Fall nach Art. 67 StBOG kennt das StBOG folglich keine Rechtsgrundlage für ausserordentliche Staatsanwälte.

4.2.1.2   Anders als es die Ausführungen der Bundesanwaltschaft und der C. AG vermuten lassen, ist es den von diesen erwähnten Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass es der Bundesanwaltschaft bzw. dem Bundesanwalt selber freistand, unterschiedliche Kategorien von Staatsanwälten zu schaffen und folglich auch die Kategorie des ausserordentlichen Staatsanwaltes. Die Botschaft zum StBOG erläutert an der von der Bundesanwaltschaft und der C. AG zitierten Stelle, dass beim Erlass des StBOG darauf verzichtet wurde, auf Gesetzesstufe Assistenzstaatsanwälte und -anwältinnen zu erwähnen; es stehe der Bundesanwaltschaft allerdings frei, unterschiedliche Kategorien «im Sinne des genannten Beispiels zu schaffen» (Botschaft zum StBOG S. 8152). Die erwähnte Stelle besagt also nur, dass es der Bundesanwaltschaft freistand, die Kategorie des Assistenzstaatsanwaltes zu schaffen, eine Kategorie, die unterhalb der gesetzlich vorgesehenen Kategorie des ordentlichen Staatsanwaltes steht und dieser somit untergeordnet ist. Im Anschluss an die soeben genannten Ausführungen nennt die Botschaft weitere Beispiele von Mitarbeitenden, die ebenfalls keine ausdrückliche Erwähnung im StBOG finden sollen. Sie stehen ebenso unterhalb der Kategorie eines ordentlichen Staatsanwaltes (Juristen des Rechtsdienstes, Protokollführer, Kanzleipersonal, Mitarbeitende der Buchhaltung etc.). Der nachfolgende Hinweis in den Materialien, wonach das StBOG darauf verzichte, unterhalb der Stufe des Stellvertretenden Bundesanwaltes oder der Stellvertretenden Bundesanwältin den personellen Bestand der Bundesanwaltschaft gesetzlich festzulegen, deutet mit der Formulierung «Bestand» auf die Anzahl bzw. den Umfang des personellen Bestands hin und ebenfalls nicht auf eine Gestaltungsfreiheit des Bundesanwaltes, eine neue Kategorie von Staatsanwälten, insbesondere mittels Reglements, zu schaffen. Anders als die Anzahl des Bundesanwaltes oder der Bundesanwältin bzw. ihrer Stellvertreter (vgl. Art. 9 Abs. 1 StBOG und Art. 10 Abs. 1 StBOG) ist der Bestand der übrigen Staatsanwälte im StBOG denn auch nicht bereits gesetzlich festgelegt. Diese Organisation wird seitens des Gesetzgebers der Bundesanwaltschaft überlassen.

4.2.1.3   Zudem sprechen die gesetzlichen Regelungen zur Wahl gegen die Möglichkeit, eine neue Kategorie von ausserordentlichen Staatsanwälten zu schaffen, welche beschränkt auf die Dauer einzelner Verfahren eingesetzt wird. Die Regelung zur Amtsdauer von vier Jahren, beginnend am 1. Januar nach Beginn der Legislaturperiode des Nationalrates (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 StBOG), gilt aufgrund ihrer systematischen Stellung und der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (vgl. Botschaft zum StBOG S. 8142) für Staatsanwälte des Bundes genauso wie für den Bundesanwalt und seine Stellvertreter. Entgegen dieser gesetzlichen Vorgaben zur Amtsdauer schloss die Bundesanwaltschaft jedoch mit Rechtsanwalt TTTT. am 14. bzw. 21. September 2015 einen befristeten Dienstleistungsvertrag mit Vertragsdauer bis 30. Juni 2016 (CAR pag. 3.101.367; Ziffer 10). Auch wenn der Vertrag gemäss Auskunft des gegenwärtigen Bundesanwaltes regelmässig verlängert worden sei (CAR pag. 3.101.369), liegt dennoch ein befristeter Vertrag vor und keine Wahl für die Amtsdauer von vier Jahren. Eine solche Kategorie von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes auf Zeit sieht das StBOG aber bis heute nicht vor. Ferner wurde Rechtsanwalt TTTT. entgegen Art. 22 Abs. 1 StBOG durch den erwähnten Dienstleistungsvertrag nicht wie für Staatsanwälte des Bundes vorgesehen, dem Bundespersonalrecht unterstellt.

4.2.1.4   Dass Rechtsanwalt TTTT., wie von der Bundesanwaltschaft vorgebracht, im Sinne von Art. 13 StBOG dem Weisungsrecht des Bundesanwalts bzw. der Leitenden Staatsanwälte des Bundes unterstand und auch einem «internen Controlling», ist nicht zu bezweifeln. Die übrigen Umstände sprechen jedoch dafür, dass er als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes als externe Person beauftragt wurde, um für eine bestimmte Zeit ein bestimmtes Strafverfahren zu führen. Rechtsanwalt TTTT. reichte von sich aus eine Dokumentation über seine Einsetzung als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes ein (CAR pag. 3.101.362 ff.). Die diesbezüglichen Anträge der amtlichen Verteidigung erweisen sich damit als erledigt und somit gegenstandslos. In dem eingereichten Dienstleistungsvertrag ist bei den Vertragsparteien von «Auftragnehmer» und «Auftraggeber» die Rede. Der Vertrag bringt die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bundes für Dienstleistungsaufträge zur Anwendung (CAR pag. 3.101.364; Ziffer 2). Der geschlossene Vertrag sieht eine Entschädigung im Stundenlohn vor (CAR pag. 3.101.365; Ziffer 5), eine Beschränkung des Auftrags auf das vorliegende Strafverfahren (CAR pag. 3.101.364; Ziffer 1), keine Zurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes, sondern vielmehr Erbringung der Leistung im eigenen Anwaltsbüro (CAR pag. 3.101.364; Ziffer 4) und keine Erbringung von Sozialleistungen seitens der Bundesanwaltschaft (CAR pag. 3.101.366; Ziffer 7). In der Anklageschrift gab Rechtsanwalt TTTT. als Korrespondenzadresse entsprechend diejenige seines Anwaltsbüros an, da er nicht bei der Bundesanwaltschaft domiziliert sei (TPF pag. 100.222). All diese Umstände sprechen für die Einordnung des eingereichten Dienstleistungsvertrags als Auftrag (Art. 394 ff. OR). Auch im Auftragsrecht besteht zudem ein Weisungsrecht des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer. Rechtsanwalt TTTT. führte zudem selber als einschlägige Rechtsgrundlage den Art. 5 Abs. 4 der aktuellen Version des Organisationsreglements der Bundesanwaltschaft an (vgl. CAR pag. 3.101.321), welcher nach dessen Wortlaut für eine «externe» Person gilt, die als ausserordentlicher Staatsanwalt beauftragt werden kann. Die vorstehenden Erwägungen sprechen folglich dafür, dass es sich bei Rechtsanwalt TTTT. um eine externe Person handelt, welche die Bundesanwaltschaft für die vorliegende Verfahrensführung beauftragt hat.

4.2.2      Für den Einsatz von Rechtsanwalt TTTT. als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes lag somit keine formell-gesetzliche Grundlage vor. Diese Kategorie von ausserordentlichen Staatsanwälten des Bundes war und ist zurzeit in keinem Gesetz im formellen Sinne vorgesehen. Das aktuelle Reglement über die Organisation und Verwaltung der Bundesanwaltschaft, welche als Rechtsverordnung in Art. 5 Abs. 4 die Möglichkeit der Beauftragung von ausserordentlichen Staatsanwälten für die Dauer der Behandlung einzelner Verfahren vorsieht, galt erst ab dem 1. April 2021. In diesem Verfahrensstadium war die Anklage vom 20. November 2020 bereits erhoben und das Strafverfahren bei der Vorinstanz hängig, welche in der Folge am 30. August 2021 ihr Urteil fällte. Art. 5 Abs. 4 des Organisationsreglements bietet zudem auch keine taugliche Rechtsgrundlage für die ab dem 1. April 2021 ergangenen Verfahrenshandlungen seitens des ausserordentlichen Staatsanwaltes. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, bot der Gesetzgeber der Bundesanwaltschaft bzw. dem Bundesanwalt keinen Spielraum, als weitere Kategorie diejenige des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes zu schaffen, auch nicht mittels Rechtsverordnung. Vielmehr widerspricht Art. 5 Abs. 4 der gesetzlichen Ausgangslage des StBOG. Mangels formell-gesetzlicher Rechtsgrundlage gingen sämtliche Verfahrenshandlungen des ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes ab dem 1. Oktober 2015 somit von einer sachlich/funktional unzuständigen Person aus.

4.3         Bei Verfahrenshandlungen nicht zuständiger Behörden stellt sich unmittelbar die Frage ihrer Nichtigkeit (Urteil des Bundesgerichts 6B_1304/2018 vom 5. Februar 2019 E. 1.6). Nichtige Verfügungen bzw. nichtige Verfahrenshandlungen entfalten keinerlei Rechtswirkungen. Nichtigkeit bedeutet absolute Unwirksamkeit einer Verfügung. Sie ist vom Erlass an (ex tunc) und ohne amtliche Aufhebung rechtlich unverbindlich. Auch in Strafverfahren greift die bundesgerichtliche Rechtsprechung auf die Kriterien der Evidenztheorie aus dem Verwaltungsrecht zurück. Danach sind fehlerhafte Verfahrenshandlungen in aller Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar. Als nichtig erweisen sie sich erst dann, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer bzw. tiefgreifend und wesentlich ist, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht (BGE 147 IV 93 E. 1.4.4; 145 II 436 E. 4; 144 IV 362 E. 1.4.3).

4.3.1      Die Einsetzung eines Staatsanwaltes ohne formell-gesetzliche Grundlage stellt grundsätzlich einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Der Rechtsvertreter von L. führt in diesem Zusammenhang zu Recht an, dass ein Staatsanwalt des Bundes von Gesetzes wegen mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist, die in Grundrechte eingreifen können.

4.3.2      Demgegenüber ist das Verfahren in den letzten acht Jahren seit der Einsetzung von Rechtsanwalt TTTT. per 1. Oktober 2015 stark fortgeschritten. Es befindet sich zurzeit im Stadium des Berufungsverfahrens vor zweiter Instanz. Einerseits liegt ein Urteil einer ersten Instanz vor. Darin wurde neben der Verurteilung der Beschuldigten unter anderem B. rechtskräftig von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen freigesprochen. Andererseits nahm der ausserordentliche Staatsanwalt für die Bundesanwaltschaft bereits zuvor diverse Verfahrenserledigungen vor. Unter anderem wurde das Verfahren gegen J. und weitere Mitbeschuldigte rechtskräftig eingestellt (BA Rubrik 3.001 ff.). Die Feststellung der Nichtigkeit hätte folglich nicht nur Auswirkungen für das vorliegende Strafverfahren gegen die Beschuldigte, sondern auch für diverse andere Personen und Rechtsverhältnisse. Betreffend die Beschuldigte könnte es zudem zu einem rein formalistischen Leerlauf kommen, würde die Anklage erneut zurückgewiesen werden. Es ist durchaus möglich, dass ein anderer – ordentlicher – Staatsanwalt des Bundes dieselbe Anklage unterzeichnen und erneut erheben würde und auch die Vorinstanz zum gleichen Urteil käme. Zudem nahm der ausserordentliche Staatsanwalt des Bundes, abgesehen von den Verfahrenserledigungen, diverse andere Verfahrenshandlungen vor. Exemplarisch sei angeführt, dass Rechtsanwalt TTTT. zum Beispiel den Verkauf einer beschlagnahmten Liegenschaft in Millionenhöhe genehmigte und anschliessend den daraus resultierenden Verkaufserlös beschlagnahmte (BA pag. 07.302-003-0116 ff., - 0122 f. und BA pag. 08.107-0118 ff.). Es ist kaum abschätzbar, was die Feststellung der Nichtigkeit sämtlicher Verfahrenshandlungen auch für solche, andere Rechtsverhältnisse zur Folge hätte. Die Annahme der Nichtigkeit könnte zudem unabsehbare Konsequenzen für andere gleichgelagerte Verfahren haben, in welchen ausserordentliche Staatsanwälte des Bundes tätig waren oder sind. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist einem nichtigen Urteil ferner die verjährungshemmende Wirkung eines erstinstanzlichen Urteils abzusprechen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_692/2017 vom 13. April 2018 E. 2). Entgegen der Ansicht der Bundesanwaltschaft könnte bei der Feststellung der Nichtigkeit des vorinstanzlichen Schuldspruchs folglich die Verjährung hinsichtlich der Anklagevorwürfe gegenüber der Beschuldigten noch weiter drohen, als bisher von der Vorinstanz angenommen (vgl. Urteil der Vorinstanz SK.2020.57 zu den von ihr berücksichtigten Verjährungszeitpunkten in E. 1.3, E. 3.2.3.5, E. 4.2.4, E. 5.2.4 und E. 6.3). Aus dem Gesagten ergibt sich, das die Feststellung der Nichtigkeit sämtlicher Verfahrenshandlungen des ausserordentlichen Staatsanwaltes die Rechtssicherheit stark gefährden würde. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob sich die fehlende sachliche Zuständigkeit des ausserordentlichen Staatsanwaltes des Bundes – trotz des sich vorstehend zeigenden Auslegungsbedarfs der relevanten Gesetzesbestimmungen des StBOG (vgl. vorstehend E. 4.2) – darüber hinaus als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist, zumal der Annahme der Nichtigkeit sämtlicher Verfahrenshandlungen sowie des erstinstanzlichen Urteils die Rechtssicherheit entgegenstehen würde.

4.3.3      Zur Schwere des Verfahrensmangels im konkreten Fall ist im Rahmen der Abwägung zusätzlich anzufügen, dass auch der Rechtsvertreter von L. zu Recht nicht an den fachlichen Kompetenzen des ausserordentlichen Staatsanwaltes zweifelt. Seiner Wahl als ordentlicher Staatsanwalt des Bundes wäre fachlich aufgrund der gesetzlichen Regelung (vgl. Art. 20 Abs. 2 StBOG) nichts entgegengestanden. Rechtsanwalt TTTT. besitzt einen Hochschulabschluss in Rechtswissenschaft, ein Anwaltspatent und ist zudem Notar. Daneben war er als ausserordentlicher Untersuchungsrichter/Staatsanwalt des Kantons Solothurn und des Kantons Basel-Landschaft tätig (vgl. seinen Internetauftritt auf <[…]>, [15.2.24]).

4.3.4      Der Umstand, dass ein ausserordentlicher Staatsanwalt tätig war, war den Parteien und Drittbetroffenen zudem seit seiner Einsetzung vor über acht Jahren bekannt. Einerseits wurde ihnen die Einsetzung bekannt gemacht (CAR pag. 1.300-0002), andererseits zeichnete Rechtsanwalt TTTT. jede einzelne seiner zahlreichen Eingaben für die Bundesanwaltschaft wörtlich mit «TTTT., a.o. Staatsanwalt des Bundes» (CAR pag. 3.105.217 f.). Die Beschuldigte war im Übrigen bereits bei der Einsetzung anwaltlich vertreten. Gleiches gilt für L. Die amtliche Verteidigung und die Rechtsvertretung von L. und der N. AG rügen diesen Verfahrensmangel nun im vorliegenden Berufungsverfahren (erstmals). Unter Würdigung sämtlicher Umstände ist es nicht angezeigt sämtliche Verhandlungshandlungen – insbesondere das Verfassen und Einreichen der Anklage – sowie das vorinstanzliche Urteil für nichtig zu erklären, dies insbesondere aufgrund des Aspekts der Gefährdung der Rechtssicherheit. Diese Verfahrensschritte haben somit weiterhin Bestand. Die Anträge der amtlichen Verteidigung, von L. und der N. AG auf Rückweisung des Verfahrens an die Bundesanwaltschaft zur Wiederholung der nichtigen Verfahrenshandlungen sind folglich abzuweisen.

4.3.5      Hingegen steht die Rechtssicherheit dem Mangel der gesetzlichen Grundlage und in der Folge der Nichtigkeit von Verfahrenshandlungen im hängigen Berufungsverfahren nicht so weit entgegen, als dass diese als gefährdet betrachtet werden müsste. Das Berufungsverfahren ist noch nicht soweit fortgeschritten, als dass sich daraus im Rahmen einer Güterabwägung die Fortsetzung des Verfahrens mit der Teilnahme des ausserordentlichen Staatsanwaltes rechtfertigen liesse. Mangels gesetzlicher Legitimation von Rechtsanwalt TTTT. für die Bundesanwaltschaft mittels Berufung ein Berufungsverfahren zu initiieren, liegt ein Verfahrenshindernis vor. Auf seine am 15. Oktober 2021 erklärte Berufung ist folglich im Sinne von Art. 403 Abs. 1 lit. c StPO nicht einzutreten. Dieser Mangel ist nicht heilbar. Die Frist zur Erklärung der Berufung ist abgelaufen. Aufgrund des Wegfalls dieser Berufungserklärung fällt auch die Anfechtung der Strafhöhe seitens der Bundesanwaltschaft weg. In Beachtung des in Art. 391 Abs. 2 StPO verankerten Verbots der reformatio in peius wird das Berufungsgericht im Hauptberufungsverfahren folglich auch bei einem Schuldspruch keine höhere Sanktion ausfällen können, als die von der Vorinstanz ausgesprochene Freiheitsstrafe von 45 Monaten. Die von der Bundesanwaltschaft mittels Berufungserklärung angefochtene Einstellung des Verfahrens wegen Geldwäscherei wurde hingegen auch seitens der C. AG angefochten. Dieser Vorwurf wird somit Prüfungsumfang des Hauptberufungsverfahren bleiben. Die Bundesanwaltschaft wird trotz Nichteintretens auf ihre Berufungserklärung Partei des Berufungsverfahrens bleiben. Sie wird als Berufungsgegnerin die Anklage zu vertreten und einen neuen – ordentlichen – Staatsanwalt des Bundes zu bezeichnen haben, der sie im Berufungsverfahren vertritt.

4.4         Die Berufungskammer hat zur Behandlung der eingegangenen Berufungen ein einheitliches Dossier mit der Geschäftsnummer CA.2021.18 angelegt. Die Gerichte können Strafverfahren aus sachlichen Gründen trennen oder vereinen (Art. 30 StPO in Verbindung mit Art. 379 Abs. 1 StPO). In Anbetracht der Verfahrenserledigung rechtfertigt es sich, das von der Bundesanwaltschaft durch ihre Berufungsanmeldung und -erklärung initiierte Berufungsverfahren vom Berufungsverfahren mit der Geschäftsnummer CA.2021.18 abzutrennen und unter der Geschäftsnummer CA.2024.10 weiterzuführen.

5.           Kosten- und Entschädigungsfolgen

              Im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien die Kosten nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens, wobei als unterliegend auch die Partei gilt, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Bundesanwaltschaft unterliegt im vorliegenden Berufungsverfahren CA.2024.10, da auf ihre Berufung nicht einzutreten ist. Zudem bewirkte sie durch die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwalts des Bundes ohne formell-gesetzliche Grundlage die Klärung der prozessualen Folgen mit vorliegendem Beschluss. Die Kosten des Berufungsverfahrens CA.2024.10 sind daher von der Eidgenossenschaft zu tragen. Die Gerichtsgebühr ist in Anwendung von Art. 73 Abs. 1 lit. a und b StBOG; Art. 1, 5 und 7 des Reglements des Bundesstrafgerichts über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren (BStKR; SR.173.713.162) auf Fr. 2'500.00 festzusetzen. Es liessen sich diverse Parteien und Drittbetroffene vernehmen, der generiete Aufwand war nicht unerheblich und die zu beurteilende Frage von gewisser Tragweite. Über allfällige Entschädigungsansprüche wird im Rahmen des Hauptberufungsverfahrens CA.2021.18 mit dem Endentscheid entschieden.

             

Die Berufungskammer beschliesst:

I. Die Anträge der Beschuldigten, von L. und der N. AG auf Einreichung einer Dokumentation über die Einsetzung von Rechtsanwalt TTTT. als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes werden als gegenstandslos abgeschrieben.

II. Die Anträge der Beschuldigten, von L. und der N. AG auf Rückweisung des Verfahrens an die Bundesanwaltschaft werden abgewiesen.

III. Das die Bundesanwaltschaft betreffende Berufungsverfahren wird vom Berufungsverfahren mit der Geschäftsnummer CA.2021.18 abgetrennt und unter der Geschäftsnummer CA.2024.10 weitergeführt.

IV. Auf die Berufung der Bundesanwaltschaft gegen das Urteil der Strafkammer des Bundesstrafgerichts SK.2020.57 vom 30. August 2021 wird im Berufungsverfahren CA.2024.10 nicht eingetreten.

V. Die Bundesanwaltschaft wird angewiesen, einen neuen, ordentlichen Staatsanwalt des Bundes zu bezeichnen, welcher die Bundesanwaltschaft im Hauptberufungsverfahren CA.2021.18 als Berufungsgegnerin vertritt.

VI. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren CA.2024.10 beträgt Fr. 2'500.00 und wird von der Eidgenossenschaft getragen.

VII. Über allfällige Entschädigungsansprüche wird im Rahmen des Hauptberufungsverfahrens CA.2021.18 mit dem Endentscheid entschieden.

Im Namen der Berufungskammer

des Bundesstrafgerichts

Die Vorsitzende                                                                Die Gerichtsschreiberin

Brigitte Stump Wendt                                                       Flurina Heer

Zustellung an (Gerichtsurkunde):

- Bundesanwaltschaft,

- Herrn Rechtsanwalt Rainer L. Fringeli

- Herrn Rechtsanwalt Thomas Sprenger

- Herrn Rechtsanwalt Reto Marbacher

- H. AG, z.Hd. Frau Rechtsanwältin Melanie Gasser

- Herrn Rechtsanwalt Konrad Jeker

- Herrn Rechtsanwalt Alex Ertl

- Herrn Rechtsanwalt Martin Romann

- Herrn Rechtsanwalt Markus Dörig

- Herrn Rechtsanwalt Andreas Bättig

- Herrn Rechtsanwalt Stephan Erbe

- Frau Rechtsanwältin Vera Delnon

- Herrn M.

Kopie an (brevi manu):

- Bundesstrafgericht, Strafkammer

Nach Eintritt der Rechtskraft mitzuteilen an:

- Bundesanwaltschaft, Urteilsvollzug

Rechtsmittelbelehrung

Beschwerde an das Bundesgericht

Dieser Beschluss kann innert 30 Tagen nach Zustellung der vollständigen Ausfertigung mit Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht angefochten werden. Das Beschwerderecht und die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in den Art. 78-81 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG) geregelt. Die begründete Beschwerdeschrift ist beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen.

Die Fristeinhaltung bei Einreichung der Beschwerdeschrift in der Schweiz, im Ausland bzw. im Falle der elektronischen Einreichung ist in Art. 48 Abs. 1 und 2 BGG geregelt.

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